Offener Brief an Jan-Marco Luczak, MdB und CDU-Kandidat für Tempelhof-Schöneberg

Chris Ward
11 min readFeb 2, 2025

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“Wir sind die Brandmauer” / “We are the firewall” demo at the Platz der Republik, 03.02.2025.

[English version underneath]

Sehr geehrter Herr Luczak,

mein Flugzeug landete vor etwas mehr als sieben Jahren, im September 2017, in Deutschland. In meinem Geburtsland, wo mein Vater als britischer Soldat in Westdeutschland diente und in dem ich meine prägendsten Kindheitserinnerungen in meiner wunderschönen Heimatstadt Detmold hatte. Nachdem ich beim EU-Referendum gegen den Brexit gekämpft hatte und mit ansehen musste, wie sich mein Heimatsland, das Vereinigte Königreich, aufgrund von Unwahrheiten und blankem Hass von der Welt abkehrte, kam ich nach Hause zurück — in ein Land, das weiß, wohin dieser Hass führen kann, und das immer noch seine Narben trägt.

Kaum hatte ich meine Koffer abgestellt, nahmen mich ein paar Freunde mit in eine Bar, um die Kanzlerkandidaten-Debatte zu verfolgen. Nachdem ich gesehen hatte, wie der Populismus in jede Ader des britischen politischen Systems eingesickert war, insbesondere in die Tory-Partei, war ich zutiefst beeindruckt, als eine konservative Kanzlerin die erste Zeile des Grundgesetzes zitierte, als sie wegen der Aufnahme so vieler Flüchtlinge während des syrischen Bürgerkriegs zur Rede gestellt wurde.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Ich bin kein Konservativer, aber sie sprach für mich, denn für diejenigen von uns, die an Demokratie und Menschenrechte glauben, steht dieses Prinzip nicht zur Debatte. In diesem Moment wusste ich, dass ich zu Hause war. Auch, wenn ich die Sprache noch lernen musste.

Es fällt mir nicht leicht mir einzugestehen, dass ich in den letzten Jahren die naive Begeisterung, die mich an diesem Abend überkam, immer wieder in Frage gestellt habe. Ich habe mein Bestes gegeben, um ein guter Deutscher zu werden. Ich habe die Sprache gelernt (bei weitem nicht perfekt, aber ich arbeite daran), mich sofort in den demokratischen Prozess eingebracht und in den letzten sieben Jahren an zwei BVV-Wahlen als Kandidat teilgenommen. Ich bin nur noch einen Katzensprung von der deutschen Staatsbürgerschaft entfernt. Dennoch muss ich mich fragen: Habe ich einen Fehler gemacht?

Während deutsche Jugendliche in Clubs „Ausländer raus!“ skandieren, spricht Ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz ständig über die Bedeutung von „Herkunft“, von „Leitkultur“, und hat sich sogar erdreistet, die CDU als „eine Alternative für Deutschland mit Substanz“ zu vermarkten. Im Englischen nennen wir das „dog-whistle politics“ — subtil und hinterlistig genug, um die dadurch erzeugte Wut als einfache Fehlinterpretation abzutun, aber nicht weniger schädlich ist. Als ich 2021 zur Wahl antrat, erhielt ich trotz meines schrecklichen Deutschs überwiegend nette Rückmeldungen von den Menschen. Ein syrischer Kandidat in unserer Stadt mit einwandfreiem Deutsch zog sich nach einer Welle von Morddrohungen zurück.

Lag ich falsch? War es ein Fehler, mit meinen Fähigkeiten und meinem Beruf in dieses Land zu kommen, um zur deutschen Wirtschaft beizutragen?

Ich weiß natürlich, wie die Antwort darauf lautet: „Du bist ja nicht gemeint“. Dieses wissende Augenzwinkern. Keine Sorge, Chris, du bist ein guter Migrant. Ich glaube, Herr Luczak, dass ich verstanden habe, was mich in den Augen vieler hier zu einem „guten Migranten“ macht, und ich glaube nicht, dass es an meinen gesellschaftlichen Beiträgen liegt. Ich nehme an, das soll mir ein gutes Gefühl geben — aber bitte seien Sie sich bewusst, dass es mich und viele andere wie mich abstößt.

Ich war schockiert, als ich sah, dass Sie am Mittwochabend zusammen mit der AfD gestimmt haben. Ich war zwar keineswegs überrascht, dass Herr Merz dazu fähig war, aber dennoch schockiert, dass der Rest der CDU — einer sogenannten Volkspartei — mitmachte. Ich war schockiert. Nicht zuletzt, weil ich mich daran erinnere, Ihnen 2021 bei einer Kundgebung in Friedenau die Hand geschüttelt zu haben, bei der wir als Gemeinschaft gegen einen antisemitischen Angriff protestierten, der sich zuvor ereignet hatte.

Wir besiegen Faschisten nicht, indem wir ihr Auftreten übernehmen. Wenn wir ihre Sprache, ihre Anliegen, ihre Vorurteile übernehmen, egal wie sehr wir uns vormachen, dass wir sie mit Vorsicht verwenden, weil wir “die Guten” sind, dann normalisieren wir sie. Wir bringen sie in den Mainstream und senden die Botschaft aus, dass faschistische Ideale ein legitimer Bestandteil des politischen Diskurses sind. Was mich am meisten traurig stimmt, ist, dass man in Berlin nicht lange suchen muss, um ein historisches Beispiel dafür zu finden, wohin das führt.

Was ist der Sinn der vielen Gedenkstätten? Die Tage des Gedenkens? Die feierlichen Worte, die Sie und viele andere gesprochen haben, oft mehrfach mit „Nie wieder“ unterlegt? Nie wieder. Das sind mehr als nur Worte. Sie sind ein Aufruf zum Handeln. Sie erkennen einen alten Grundsatz an: dass das Böse nur dann erfolgreich sein kann, wenn gute Menschen nichts tun. Um den Faschismus zu bekämpfen, müssen wir dies standhaft tun. Können Sie sich selbst im Spiegel ansehen und von ganzem Herzen sagen, dass Sie das Mittwochabend getan haben?

Wenn die Straßen so voller Erinnerungen an das sind, was die Nationalsozialisten getan haben, ist Wegschauen kein Zufall, sondern ein kalkulierter Akt der Ignoranz. Es entwürdigt diese Gedenkstätten und macht sie zu nichts anderem als Beleidigungen für die Opfer des Dritten Reiches. Wenn wir uns erinnern, müssen wir handeln.

Faschismus nimmt viele verschiedene visuelle Formen an. Aber letztendlich ist er immer derselbe Hass, egal wer ihn ausübt. In Magdeburg war der Täter (der schon seit einigen Jahren hier war) zutiefst islamfeindlich und zeigte öffentlich seine Unterstützung für die AfD. Sein Herkunftsland hatte die deutschen Behörden immer wieder gewarnt, dass er ein Risiko darstellte, aber ohne Erfolg. Tatsächlich scheint es, dass viele dieser Vorfälle hätten verhindert werden können, wenn die deutschen Institutionen nicht so inkompetent wären. Ich vermute jedoch, dass es viel einfacher ist, einfach Migranten die Schuld zu geben. Auf diese Weise müssen keine schwierigen Fragen beantwortet werden. Anscheinend spielt es dabei keine Rolle, dass sich unter der homogenen Gruppe, die von der CDU/CSU zum Sündenbock gemacht wird, auch einige der Opfer dieser schrecklichen Angriffe befinden.

Ich bin kein religiöser Mensch, Herr Luczak. Aber einige in meiner Familie sind es. Als ich jung war, wurde mir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gelehrt. Es ist mir im Gedächtnis geblieben, und wenn ich an die Christen in meiner Familie denke, denke ich trotz meines Atheismus an diese Geschichte. Ich bin sicher, Sie kennen sie — als Jesus von einem Mann sprach, der zusammengeschlagen und ausgeraubt am Straßenrand zurückgelassen worden war. Die Menschen gingen an ihm vorbei und ignorierten ihn, aber einer blieb stehen, um zu helfen. Obwohl das Gleichnis nie klarstellt, dass der Samariter und das Opfer unterschiedlicher Herkunft waren, während die Menschen, die vorbeigingen, aus seiner Gemeinschaft stammten, ist dies eine deutliche Implikation. Jesus macht in dem Gleichnis sehr deutlich, dass derjenige, der dein wahrer Nächster ist, derjenige ist, der dich aufhebt, sich um dich kümmert und dir Liebe und Mitgefühl entgegenbringt, unabhängig davon, wer du bist.

Ich mag diese Geschichte. Ich denke, sie zeigt das Christentum von seiner besten Seite — vereint, nicht in Hass oder Angst vor Unterschieden, sondern in Liebe. Ich persönlich würde erwarten, dass jede Partei, die „christlich“ in ihrem Namen an erster Stelle trägt, sich regelmäßig fragt: „Was würde Jesus tun?“. Glauben Sie, dass Jesus Mittwochabend an Ihrer Seite gewesen wäre, als Sie und Ihre Kollegen dafür gestimmt haben, verzweifelten Familien, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, die Tür zu verschließen? Wer, glauben Sie, waren Ihre Kollegen in diesem Gleichnis? Der barmherzige Samariter? Oder die angesehenen Mitglieder der Gemeinschaft des Opfers, die die Straßenseite wechselten und so taten, als hätten sie den zusammengeschlagenen Mann auf der Straße nicht gesehen?

Ich bitte Sie, über Ihre Abstimmung Mittwochabend nachzudenken, aber auch, sich zu fragen, warum Sie in der Politik tätig sind. Um Gutes zu tun? Um das zu tun, was Jesus tun würde?

Wir können den Faschismus nur besiegen, wenn wir Demokraten, egal wie weit wir im demokratischen Spektrum voneinander entfernt sind, zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass „Nie wieder“ nicht nur ein Slogan, sondern ein Bündnis ist. Ein Ethos. Ein lebendiger und atmender Grundsatz, der alles prägt, was man im politischen Leben tut.

Bitte machen Sie es besser.

Mit freundlichen Grüßen

Chris Ward

[English version]

Dear Herr Luczak,

My plane landed in Germany just over seven years ago, in September 2017. My country of birth, where my Dad served as a British soldier in West Germany, and where I had my fondest childhood memories in my beautiful home-town of Detmold. After fighting Brexit in the EU referendum and seeing my country, the UK, turn in on itself on the basis of untruths and simple hate, I came home — to a land that knows where that hate can end up, and indeed still bears the scars.

Almost immediately after dropping off my suitcases, a couple of friends whisked me to a bar to watch the Chancellor debate. Having seen populism seep into every vein of the British political system, especially in the country’s Conservative Party, I was awestruck by the sight of a conservative chancellor quoting the first line in the Grundgesetz when called to task on letting in so many refugees during the Syrian civil war.

“Human dignity is inviolable.”

I am no conservative, but she spoke for me, because for those of us who believe in democracy and human rights — this sentiment is not up for debate. At that point, I knew I was home. Even if I still had to learn the language…

It’s not easy for me to say that in recent years, I’ve questioned the naive excitement that came over me that evening. I’ve done my best to become a good German. I have learnt the language (by no means perfect, but I’m getting there), I got stuck in immediately with the democratic process and have, in the past seven years, stood in two BVV elections. I am but a whisker away from getting my German citizenship. Yet I must ask myself, did I make a mistake?

Amid the cacophony of German youngsters chanting “Ausländer raus!” at clubs, your party leader, Friedrich Merz, constantly talks about the importance of “Herkunft”, of “Leitkultur”, and even had the chutzpah to market the CDU as “an alternative for Germany with substance”. In English, we call this dog-whistle politics — subtle and insidious enough to dismiss the anger it generates as a simple misinterpretation, yet no less harmful. When I stood for election in 2021, I received mostly lovely sentiments from people, in spite of my terrible German. A Syrian candidate in our city with impeccable German withdrew after a spate of death threats.

Was I wrong? Did I make a mistake coming to this country with my skills and my profession to contribute to the German economy?

I know what the response to this is of course: “Du bist ja nicht gemeint”. That knowing wink. Don’t worry Chris, you’re a good migrant. I believe, Herr Luczak, that I’ve worked out what makes me a “good migrant” in the eyes of many here, and I don’t think it is down to my societal contributions. I suppose it’s meant to make me feel better — please be aware that it makes me, and many others like me, repulsed.

I was shocked to see you vote alongside the AfD on Wednesday night. Indeed, whilst I was utterly unsurprised that Herr Merz was capable of it, I was still shocked that the rest of the party — a so-called Volkspartei — went along with it. I was shocked, not least because I remember shaking your hand at a rally in Friedenau back in 2021, where we as a community marched in defiance against an antisemitic attack that had occurred earlier that week.

We do not defeat fascists by wearing their clothes. When we adopt their language, their causes, their prejudice, no matter how much we might kid ourselves that we are wielding it with caution because we are the good guys, we normalise them. We bring them into the mainstream and we send out a message that fascist ideals are a valid component of political discourse. What saddens me most is that in Berlin one does not have to look far to find a historical example of where this goes next.

What is the point in the flurry of memorials? The days of commemoration? The solemn words uttered by yourself and many others, often laced multiple times with “never again”? Never again. Those are more than words. They are a call to action. They recognise that old doctrine — that for evil to succeed requires simply for good people to do nothing. To fight fascism, we must do it steadfast and with purpose. Can you look at yourself in the mirror and say, wholeheartedly, that you were doing that on Wednesday night?

When the streets are so covered with reminders of what national socialism did, looking away is not an accident, it is a calculated act of ignorance. It demeans these memorials, and renders them nothing more than insults to the victims of the Third Reich. If we remember, we must act.

Fascism takes many different visual forms. But in the end, it is always the same hate, no matter who wields it. In Magdeburg, the perpetrator (who had been here for a number of years) was profoundly anti-Islam and displayed public support for the AfD. Indeed, his country of origin tried warning German authorities time and time again that he was a risk, but to no avail. In fact, it seems that quite a lot of these incidents could have been prevented were it not for German state incompetence. I suppose though that it’s far easier to simply blame migrants. That way no hard questions need to be answered. And perhaps it doesn’t matter that the homogenous group the CDU/CSU are scapegoating includes some of the victims of these horrendous attacks.

I am by no means a religious person, Herr Luczak. But some in my family are. When I was young, I was told the parable of The Good Samaritan. It truly stuck with me, and whenever I think about the Christians in my family, in spite of my miserable atheism, I think of that story. I’m sure you know it — when Jesus spoke of a man who had been beaten and robbed, left on the side of the road. People passed and ignored him, but one stopped to help. Although the parable never made it clear, there was a deep implication that the Samaritan and the victim were of conflicting backgrounds, whereas the ones that walked by were from his community. Jesus made it very clear that the one who is your true neighbour is the one who, in spite of who you are, picks you up, cares for you, and shows you love and compassion.

I like that story. I think it shows Christianity at its best — united not in hate, or fear of difference; but in love. I personally would expect any party that puts “Christian” front and foremost in its name to regularly ask themselves: “What would Jesus do?”. Do you think Jesus would have been alongside you on Wednesday night, as you and your colleagues voted to shut the door on desperate families fleeing war and persecution? Who do you think your colleagues were in that parable? The Good Samaritan? Or the respected members of the victim’s community who crossed the street and pretended they didn’t see the beaten man lying in the street?

I ask you to reflect on your vote on Wednesday, but also to ask yourself why you are in public service. Is it to do good? Is it to do what Jesus would do?

We only defeat fascism if we democrats, no matter how distant we are on the political spectrum, work together to ensure that “Never again” is not just a slogan, but a covenant. An ethos. A living and breathing tenet that shapes everything one does in public life.

Please do better.

Kind regards

Chris Ward

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Written by Chris Ward

Mobile Engineering Manager in Berlin kidding myself I'm still an Android Dev. ADHDer. Posts mainly about tech, politics and mental health.

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